Argumente für die ausschließliche Gebührenfinanzierung abwasserwirtschaftlicher Investitionen

Seit fast 30 Jahren wird in Thüringen über die Mitfinanzierung abwasserwirtschaftlicher Investitionen durch die Grundstückseigentümer über Anschlussbeiträge diskutiert. Diese Option der Mitfinanzierung öffentlicher Investitionen ist in § 7 Thüringer Kommunalabgabengesetz (ThürKAG) enthalten. Eine gesetzliche Pflicht der Erhebung von Abwasserbeiträgen besteht aber nicht. Von den über 100 kommunalen Aufgabenträger der Abwasserentsorgung in Thüringen, darunter rund 50 Zweckverbände, erheben rund 60 Prozent neben der Abwassergebühr auch die Abwasserbeiträge.

Rund 40 Prozent der Aufgabenträger der Abwasserentsorgung refinanzieren somit ihre Investitionen ausschließlich über die Erhebung von Gebühren und verzichten somit auf die umstrittenen Abwasserbeiträge. Da sich dabei um vergleichsweise große Aufgabenträger handelt (wie z.B. die Stadt Erfurt) sind nur noch die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner von Thüringen von der Problematik der Abwasserbeiträge betroffen. Die andere Hälfte ist von dieser Thematik nicht mehr berührt.

Die Abwasserbeiträge sind deshalb so umstritten, weil diese unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme (anfallenden Abwassermenge) für ein Grundstück festgelegt werden. Der Abwasserbeitrag ist somit im Gegensatz zur Abwassergebühr verbrauchsunabhängig.

Zur Berechnung werden alle notwendigen Investitionen in die Gesamtabwasseranlage eines Aufgabenträgers ermittelt. Da sich der Investitionszeitraum für die Kläranlagen, die Verbindungsammler und die Ortsnetze über Jahrzehnte hinzieht, muss hier eine Prognose mit vielen Unbekannten getroffenen werden. Von diesen Gesamtinvestitionen werden mögliche Fördermittel und Kostenbeteiligung Dritter abgezogen. Die verbleibende Summe (umlagefähiger Investitionsaufwand) wird nach bestimmten Maßstäben auf alle Grundstücke im Zuständigkeitsbereich des Aufgabenträgers umgelegt. Daraus ergebt sich ein höchstmöglicher einheitlicher Beitragssatz. In den kommunalen Gremien (Verbandsversammlung, Stadt/-Gemeinderäte) muss dann per Satzung der tatsächliche Beitragssatz bestimmt werden, der den höchstmöglichen Beitragssatz nicht überschreiten darf. Im Regelsatz wird der satzungsmäßige Beitragssatz geringer als der höchstmögliche Beitragssatz gewählt. Die nicht durch Beitragseinnahmen abgedeckten Investitionssummen fließen dann in die Gebührenkalkulation ein.

Schon diese grobe Beschreibung verdeutlicht, wie intransparent und überholt dieses Beitragssystem ist.

Es gab in den zurückliegenden 25 Jahren immer wieder Reformversuche, die aber letztlich als gescheitert angesehen werden müssen.

Deshalb wird immer wieder über die ausschließliche Gebührenfinanzierung der abwasserwirtschaftlichen Investitionen und damit den Beitragsverzicht diskutiert.

Es geht dabei um viel Geld. Bis 2018 wurden in Thüringen rund 5,5 Mrd. EUR in Abwasseranlagen investiert. Dabei kamen rund 1,8 Mrd. EUR Fördermittel zum Einsatz. Die gezahlten Abwasserbeiträge summieren sich auf inzwischen rund 1,5 Mrd. EUR.

Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 wurde das Thüringer Kommunalabgabengesetz (ThürKAG) novelliert, um Grundstückseigentümer finanziell zu entlasten. Hierzu wurde im Wasserbereich die Erhebung von Beiträgen gesetzlich abgeschafft (Hinweis: von damals 103 Aufgabenträgern hatten ohnehin nur 43 noch Wasserbeiträge) und im Abwasserbereich wurden bestimmte sogenannte Privilegierungsregelungen zur Begrenzung der Beiträge auf das Maß der tatsächlichen baulichen Nutzung der Grundstücke eingeführt.

Bereits gezahlte oder zu viel gezahlte Wasser- bzw. Abwasserbeiträge wurden erstatten. Im Wasserbereich betrugen die Erstattungen rund 190 Mio. EUR, im Abwasserbereich rund 90 Mio. EUR.

Im Wasserbereich mussten zudem die Aufgabenträger auf die geplante weitere Erhebung von rund 400 Mio. EUR Wasserbeiträge verzichten. Im Abwasserbereich wurden bisher rund 300 Mio. EUR Abwasserbeträge in Anwendung der Privilegierungstatbestände zinslos gestundet.

Diese gesetzlichen Neuregelungen von 2005 führte zu einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Freistaates, als Ausgleich dieser Erhebungsverbote und Beitragsbegrenzungen bestimmte Erstattungsleistungen an die kommunalen Aufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsorgung zu gewähren (vgl. § 21 a Absatz 5 und 6 ThürKAG).

Die Erstattungsleistungen belaufen sich gemäß der Kostenschätzung im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren auf jährlich rund 56,25 Mio. €. Über den gesamten Erstattungszeitraum ist mit Kosten von bis zu 1,5 Mrd. EUR zu rechnen.

Von einer Aufhebung der gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung von Abwasserbeiträgen hat der Thüringer Gesetzgeber 2005 unter Berücksichtigung des hohen Investitionsbedarfs im Bereich der Abwasserentsorgung abgesehen.

Begründung: Eine reine Gebührenfinanzierung kommt nämlich dann nicht in Betracht, wenn der Investitionsaufwand sehr groß ist, weil die Gebührensätze dann eine Höhe erreichen, die für den Abgabenschuldner nicht mehr zumutbar wäre. Hierauf hat auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 23. April 2009 (Az.: 32/05, juris, Rdnr. 167) hingewiesen.

Weiterhin hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof a.a.O. unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.September 1981 – 8 C 48/81 – DVBI. 1982, 76 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer reinen Gebührenfinanzierung auch mit Blick auf den Gleichheitssatz (Artikel 2 Abs. 1 ThürVerf.) an rechtliche Grenzen stoßen kann.

Der Gleichheitssatz verbietet es nämlich, im Rahmen der Refinanzierung von Investitionsmaßnahmen die Abgaben so zu gestalten, dass eine Gruppe von Abgabenschuldnern einer nennenswerten anderen Gruppe, die auch einen Vorteil von der Anlage hat, deren Vorteil mitfinanziert und die andere Gruppe von einer Mitwirkung an der Finanzierung freigestellt wird. Da beitragsrechtlich nach S 7 Abs. 1 und Abs. 7 Satz 1 ThürKAG bereits mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Anlage ein Vorteil vorliegt, führte eine reine Gebührenfinanzierung dazu, dass bebaubare, aber an die Anlage nicht angeschlossene Grundstücke einen Vorteil hätten, für dessen Finanzierung sie aber nicht herangezogen würden, weil sie mangels Anschlusses keine Gebühren zahlten.

In einer solchen Fallgestaltung finanzierten allein die Gebührenzahler den Vorteil der entsprechenden Grundstückseigentümer mit. Ist der Anteil dieser vom Vorteil profitierenden aber nicht zur Finanzierung herangezogenen Grundstücke im Gebiet eines Aufgabenträgers nennenswert hoch und kommt hinzu, dass die Gebühren dadurch wesentlich höher wären, als bei einer Heranziehung dieser Grundstücke im Rahmen einer Beitragszahlung und ist abzusehen, dass dieser Zustand sich in Zukunft nicht ändert, verstieße eine reine Gebührenfinanzierung gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Diese Argumentation ist aus Sicht des Aurors dieses Beitrags nicht überzeugend. Gerade im Zusammenhang mit der gesetzlichen Abschaffung der Wasserbeiträge 2005 wurde eine „Explosion“ der Wassergebühren prognostiziert, die in der kommunalen Praxis aber nicht eintrat, sicherlich auch, weil das Land erhebliche Erstattungszahlungen leistete (leisten musste).

Der Praxisvergleich im Abwasserbereich zwischen Aufgabenträgern mit und ohne Beitragserheblich, bestätigt keinesfalls die These: keine Beiträge = hohe Gebühren. Die Höhe der Beiträge und Gebühren ist von einer Vielzahl der Faktoren abhängig, insbesondere vom technischen Abwasserbeseitigungskonzept und der anfallenden Abwassermenge.

Auch das beschriebene Gleichheitsgrundsatzproblem besteht in der kommunalen Praxis kaum. Erst wenn mehr als zwölf Prozent aller Grundstücke im Zuständigkeitsbereich eines Aufgabenträgers unbebaut aber bebaubar wären (und dafür auch die Kapazität Abwasseranlage ausgelegt wurde, wäre das Problem gegeben (vgl. Grundsatz der Pflicht der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr). Zudem wäre das Problem durch die Einführung eines Baukostenzuschusses für diese Grundstücke im Zeitpunkt der baulichen Nutzung lösbar.

Unbeschadet der gerade beschriebenen Rechtsprobleme besteht für die kommunalen Aufgabenträger im Bereich der Abwasserentsorgung unter Beachtung der benannten rechtlichen Grenzen bereits jetzt die Möglichkeit der alleinigen Erhebung von Abwassergebühren.

Hierüber entscheiden die kommunalen Aufgabenträger der Abwasserentsorgung im Rahmen des ihnen garantierten Rechts auf kommunale Selbstverwaltung.

Dabei sind zwei Problemkreise zu berücksichtigen:

  1. Auswirkung auf die Höhe der Abwassergebühren,
  2. Die Anzahl der nicht bebauten aber bebaubaren Grundstücke darf eine bestimmte Größenordnung nicht überschreiten (hier fallen bis zur baulichen Nutzung keine Abwassergebühren an, eventuell lösbar über Baukostenzuschuss, der einmalig bei der baulichen Nutzung fällig wird).

Im Zusammenhang mit der Einführung der Autobahn- und Straßenmaut hat die EU darauf hingewiesen, dass die Finanzierungssysteme von technischen Infrastrukturmaßnahmen sich am Grad der Nutzung bemessen sollen.

Bei der Beitragserhebung ist aber Grad der Nutzung nicht maßgebend, sondern nur die Möglichkeit der Inanspruchnahme.

Vorteile der Beitragserhebung

Die Beitragserhebung ist für den kommunalen Aufgabenträger von Vorteil, weil er Investitionen nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern der Prognose der Inanspruchnahme ausrichten kann. Der Aufgabenträger kann also Kapazitäten vorhalten, weil er von einer künftigen Auslastung ausgeht. Betriebswirtschaftlich ist die Beitragsfinanzierung für den Aufgabenträger eine nahezu risikofreie Finanzierungsform. Weil jedoch die Abwasserbeseitigung ohnehin eine kostendeckende Einrichtung ist, trägt der Aufgabenträger auch ohne Beitragserhebung kein eigenes wirtschaftliches Risiko, abgesehen davon, dass erhebliche Fehler bei der Prognose der Anlagenkapazitäten (Überkapazitäten) gemacht wurden. Die darauf entfallenen Kosten dürfen nicht gebührenwirksam gemacht werden und müssten durch den Aufgabenträger selbst finanziert werden (bei Zweckverbänden über eine Verbandsumlage der Mitgliedsgemeinden).

Zudem ist bei der Beitragserhebung die Kostentransparenz für die Bürgerinnen und Bürger erschwert, weil Investitionskosten sowohl in die Beitragsberechnung als auch in die Gebührenkalkulation einfließen. Um die tatsächlichen Kosten zu „verschleiern“ ist die parallele Erhebung von Beiträgen und Gebühren ein geeignetes Instrument.

Vielverbraucher profitieren bei der Beitragsfinanzierung von Abwasserinvestitionen, weil durch Beiträge die Gebührenaufwendungen reduziert werden. Bei geringen Verbräuchen verkehrt sich dieser Kosteneffekt.

Vorteile der ausschließlichen Gebührenfinanzierung

  1. Kostenbeteiligung auf Grundlage der tatsächlichen Inanspruchnahme/Nutzung, was aus Sicht der Gebührenzahler als gerecht wahrgenommen wird. Vielverbraucher müssen auch viel bezahlen. Wer wenig Abwasser produziert, zahlt auch weniger für die Investitionen (Achtung: kann durch hohe Grundgebühren nivelliert werden).
  2. Hoher Grad von Kostentransparenz, weil keine Aufsplittung der Investitionskosten in die Beitragsermittlung und die Gebührenkalkulation erfolgt.
  3. Hoher Effizienzdruck, weil keine Vorhaltekapazitäten (Überkapazitäten) geschaffen werden können. Alle Investitionsaufwendungen erhöhen sofort und unmittelbar die Aufwendungen, die der Gebührenkalkulation zugrunde liegen. Damit wächst der Druck, jede Investition nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Erforderlichkeit zu prüfen.
  4. Die Aufgabenträger sparen viel Aufwand, weil nur noch die Gebührenkalkulation fortgeschrieben und nur noch Gebührenbescheide vollzogen werden müssen. Der gesamte Aufwand für die Beitragserhebung und -vollzug wird eingespart.
  5. Beiträge sind aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zeitgemäß und unterliegen einen Legitimationsverfall. Die Akzeptanz ist nicht mehr gegeben. Moderne Entgeltsysteme setzen jedoch auf Akzeptanz bei den Betroffenen.

Hinweis:

Verzichtet ein Aufgabenträger freiwillig auf die Option der Beitragserhebung, besteht gegenüber dem Land kein Erstattungsanspruch. In jedem Fall erhöhen sich die Aufwendungen in der Gebührenkalkulation. Die Erhöhung der Abwassergebühr muss durch andere Maßnahmen „abgefedert“ oder „abgefangen“ werden. Dies betrifft in erster Linie Änderungen im Investitionsverhalten der Aufgabenträger.

Beitrag teilen:

Share on facebook
Share on twitter
Share on email
Share on telegram
Share on whatsapp
Share on print

Über den Autor

Seit 1994 bin ich als Fachberater für Kommunal- und Verwaltungsrecht freiberuflich tätig. Seit Dezember 2019 nehme ich diese Aufgaben im Status als Leiter des Instituts für Kommunalberatung und -bildung (IKBB) wahr.

Von 1995 bis 1990 habe ich an der Akademie für Staat und Recht Potsdam-Babelsberg öffentliches Recht studiert. Der Abschluss sollte als Diplomverwaltungsjurist erfolgen. In der Folge des Einigungsvertrag erfolgte keine Diplomierung mehr.

Von 1999 bis 2020 habe ich an der Thüringer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie den Abschluss als Verwaltungsbetriebswirt (VWA) erworben.

Seit 1985 bin ich kommunalpolitisch tätig, zunächst als Mitarbeiter in der Kreisverwaltung Ilmenau. Von 1987 bis 1988 war ich Stellvertretender Bürgermeister der damaligen Kreisstadt Ilmenau, anschließend bis Juni 1990 Bürgermeister der Stadt Großbreitenbach.

Ich bin Mitbegründer des Kommunalpolitischen Forums Thüringen e.V. (heute: Die Thüringengestalter), dessen Vorsitzender ich bis 1995 war. Von 1995 bis 2010 war ich Geschäftsführer des Kommunalpolitischen Forums Thüringen e.V. Heute gehört ich noch dem Vorstand der Thüringengestalter e.V. an.

Ich war und bin seit 1990 in verschiedenen kommunalen Gremien als kommunaler Mandatsträger und Aufsichtsratsmitglied ehrenamtlich tätig. Gegenwärtig bin ich Mitglied des Kreistages Ilm-Kreis, berufener Bürger im Stadtrat Arnstadt und Mitglied des Aufsichtsrates der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Arnstadt. Seit 2019 bin ich zudem Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bürgerenergiegenossenschaft Solide eG.

Ehrenamtlich bin ich Landesbeauftragter des Verbandes Deutscher Grundstücksbesitzer (VDGN) und Landesvorsitzender der Thüringer Bürgerallianz für sozial-gerechte Kommunalabgaben.

Von 2004 bis 2019 war ich Mitglied des Thüringer Landtages und kommunalpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE.

Seit 2013 bin ich zudem geschäftsführender Gesellschafter und Verlagsleiter des THK-Verlags UG Arnstadt.

Ich bin Autor bzw. Mitautor zahlreicher Fachbücher, u.a. „Das Gläserne Rathaus“, „Haushalten mit Links“ und „ABC der Thüringer Kommunalpolitik“.