Härtefallregelung im Zusammenhang mit der gesetzlichen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge derzeit auf Landesebene umstritten

Als im September 2019 der Thüringer Landtag die gesetzliche Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2019 beschlossen hat, war klar, dass es sogenannte Übergangsregelungen geben muss. Diese Notwendigkeit hat der Gesetzgeber selbst verursacht.

Anders als in Bayern hat sich in Thüringen eine Landtagsmehrheit dafür entschieden, die Stichtagsregelungen an das Entstehen der sogenannten sachlichen Beitragspflicht zu koppeln. Dieses Modell wurde von der SPD gefordert, weil es angeblich rechtssicher wäre. Die sachliche Beitragspflicht entsteht, wenn alle Aufwendung, die umlagefähig sind, ermittelt werden können. Das Thüringer OVG hat hier den Eingang der letzten Unternehmerrechnung als Entstehungstermin der sachlichen Beitragspflicht definiert.

Bei allen beitragspflichtigen Straßenausbaumaßnahmen, bei denen bis zum 31.12.2018 die sachliche Beitragspflicht entstanden war, müssen in Thüringen somit noch nach dem alten Recht Straßenausbaubeiträge erhoben werden. Weil hier zudem die Verwaltung nach der bundesrechtlichen Abgabenordnung vier Jahre für die Bescheidung Zeit hat, müssen die Betroffenen noch bis 2022 mit Bescheiden rechnen.

In Bayern wurde diese Abgrenzungsproblematik zwischen bisherigen und neuem Recht anders gelöst und zwar nach dem Grundsatz „Bescheid ist Bescheid“. Wer in Bayern bis zum Stichtag keinen bescheid erhalten hatte (warum auch immer) fällt unter die gesetzliche Abschaffungsregelung und erhält eben kein bescheid mehr.

Egel welches Stichtagsmodell zur Anwendung kommt, die betroffenen Kommunen erhalten in allen Fällen Ausgleichszahlungen des Landes.

Um die umstrittenen Thüringer Übergangsregelungen für die Betroffenen in der Wirkung „abzufedern“ hat der Landtag die Prüfung und Vorlage einer sogenannten Härtefallklausel nach dem Vorbild Bayerns beschlossen. Bis 30. Juni 2020 sollte hierzu der Thüringer Innen- und Kommunalminister einen Bericht vorlegen. Dieser Termin wurde eingehalten. Mit Datum vom 6. Juli 2020 erhielt der Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtages den geforderten Bericht.

Das Ministerium hat alle Gemeinden aufgefordert, entsprechendes Zahlenmaterial zur Verfügung zu stellen. Insgesamt haben 353 Gemeinden Informationen geliefert. Diese decken jedoch ca. 80 % der Einwohner Thüringens ab.

Demnach sind im Zeitraum 2015 bis 2018 Straßenausbaubeitragspflichten in Höhe von 81.025.118,77 EUR entstanden, von denen zum 1. Januar 2020 bereits 116.863 Bescheide mit einer Summe von 59.257.746,36 EUR festgesetzt waren (73,14%, Durchschnittshöhe pro Bescheid: 507 EUR). 46.678.734,09 EUR sind davon bereits kassenwirksam vereinnahmt (57,61%).

Zu den 119.863 Bescheiden gingen 5.617 Widersprüche ein (4,81%). In 936 Fällen (0,8%) wurden Billigkeitsregelungen nach § 7b ThürKAG und AO getroffen.

Von den 119.863 Bescheiden lagen 17.235 über 1.000 EUR (=14,75%). 6.229 Bescheide waren höher als 2.000 EUR (= 5,2%).

Im Ergebnis der Prüfung der Härtefallklausel kommt das Thüringer Innen- und Kommunalministerium zu der Einschätzung, dass Anhaltspunkte für eine aus rechtlicher Sicht generelle unzumutbare Belastung durch eine Beitragserhebung auf der Grundlage der bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht gegeben sind. Sofern im Einzelnen Härtefälle festzustellen sind, kann diesen durch Billigkeitsmaßnahmen nach der Abgabenordnung und dem Thüringer Kommunalabgabengesetz begegnet werden, so das Innen- und Kommunalministerium.

Gleichwohl könnte nach Auffassung des Thüringer Innen- und Kommunalministeriums aus der subjektiven Sicht einzelner betroffener Grundstückseigentümer eine „unzumutbare Belastung“ darin gesehen werden, nach der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge überhaupt noch zu Beiträgen herangezogen zu werden (fehlende Akzeptanz).

Ob eine solche „gefühlte“ Unzumutbarkeit einen Härtefallfonds erforderlich macht, wird nach Auffassung des Ministeriums nicht vorrangig unter rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden sein. Bei der Entscheidung ist nach Meinung des Ministeriums zu berücksichtigen jedoch sowohl die tatsächliche Ausgangslage einschließlich des mit der Errichtung eines Fonds verbundenen Verwaltungsaufwands, mögliche Definitionsprobleme im Hinblick auf die Voraussetzungen einer unzumutbaren Belastung sowie das mögliche Entstehen neuer (gefühlter) Ungerechtigkeiten.

Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Erwägungen erscheint nach Auffassung des Ministeriums daher die zusätzliche Errichtung eines Härtefallfonds nicht erforderlich.

Eine solche Regelung wäre vielmehr mit zusätzlichen verfassungsrechtlichen Unwägbarkeiten verbunden, da sie zur Einführung eines weiteren (rückwirkenden) Stichtages führen würde — nämlich den 1. Januar 2015 für zusätzliche Härtefallmaßnahmen des Landes.

Das Thüringer Innen- und Kommunalministerium hat aber auch sachliche Einwendungen:

„Eine solche Festlegung eines zusätzlichen Stichtages bedürfte einer sachgerechten Begründung. Die Frage der Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern würde darüber hinaus mit hoher Wahrscheinlichkeit verschärft, da mit Errichtung eines Härtefallfonds die Grenze der unterschiedlichen Behandlung der von Straßenausbaumaßnahmen bevorteilten Grundstückseigentümer nicht mehr nur das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten sein würde, sondern daneben auch weiter zurückliegende Fälle teilweise begünstigt werden würden. Eine Debatte über eine weitere Ausdehnung des Zeitraumes der Anwendung der Härtefallregelung wäre die unweigerliche Folge. So könnte eine Ausweitung der Härtefallregelung bis zum Jahr 1991 gefordert werden. Dies kann allerdings in der Konsequenz nicht gewollt sein: Zum einen ist aus der oben genannten Abfrage deutlich erkennbar, dass den Gemeinden in einer Vielzahl von Fällen gar keine Unterlagen mehr zu Beitragsbescheiden seit dem Jahr 1991 vorliegen. Zum anderen beläuft sich das bereits bekannte vereinnahmte Beitragsvolumen für diesen Zeitraum auf rund 206 Mio. Euro (an-gegeben von ca. 1/3 der Gemeinden, die Angaben gemacht haben). Die finanziellen Folgen einer solchen zeitlichen Ausdehnung von zusätzlichen Härtefallregelungen sind daher nicht absehbar.“

Bei nur ca. einem Drittel der Thüringer Gemeinden liegen Unterlagen für das seit dem 1. August 1991 insgesamt vereinnahmte Beitragsvolumen vor. Dieses beläuft sich auf ca. 206 Mio. Euro. Bei einem Großteil der Gemeinden liegen somit keine vollständigen Unterlagen für den Zeitraum ab 1991 mehr vor. Bei einer Hochrechnung auf alle Thüringer Gemeinden kann davon ausgegangen werden, dass im Zeitraum 1991 bis 2018 rund 600 Mio. EUR an Straßenausbaubeiträgen vereinnahmt wurden.

Zudem wendet das Ministerium ein, dass nur in 0,8% der Fälle bisher Billigkeitsmaßnahmen zur Anwendung kommen mussten.

Gegen die für den Zeitraum 2015 bis 2018 erlassenen Bescheide wurden nach Angaben der Gemeinden bis Ende 2019 lediglich 5.617 Widersprüche eingelegt. Dies entspricht einer Widerspruchsquote von nur 4,81 %. Der durch die weitgehende Bestandskraft der Beitragsbescheide erreichte Rechtsfrieden würde nach Überzeugung des Innen-/Kommunalministeriums durch die Einführung einer zusätzlichen Härtefallregelung wieder in Frage gestellt.

Der Verwaltungsaufwand für eine solche Härtefallregelung wird vom Ministerium mit vier Arbeitskräften für ein Jahr (ca. 220.000 EUR) prognostiziert.

Bewertung:

Wie bereits das Thüringer Innen- und Kommunalministerium selbst eingeschätzt hat, geht es bei der Härtefallklausel nehmen den klassischen Billigkeitsmaßnahmen und den politischen Ansatz, dass es nach der gesetzlichen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge eben immer noch die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen gibt und zwar bis 2022.

Nach bisher vorliegenden Zahlen und entsprechenden Hochrechnungen fallen rund 10.000 Beitragspflichtige unter eine angedachte Härtefallregelung nach bayerischem Vorbild (Rückerstattung von Beträgen über 2.000 EUR).

Bei 10.000 Fällen kann nicht mehr von einer Einzelfallregelung ausgegangen werden. Andererseits würde sich die zusätzliche finanzielle Belastung für den Landeshaushalt in Grenzen halten (maximal 15 Mio. EUR geschätzt).

Es geht also um eine politische Abwägung und um Glaubwürdigkeit der Landespolitik. Eine Härtefallregelungen würde auch den politischen Druck bei den Gemeinden reduzieren, die bis 2020 noch Straßenausbaubeitragsbescheide erheben müssen.

Bei der Umsetzung der Härtefallregelung mag es durchaus auch einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand geben, aber weil eine solche Härtefallregelung auf Akzeptanz bei den beitragspflichtigen stößt, reduziert sich dass Widerspruchsverhalten und damit werden kommunale Verwaltungen, die Widerspruchsbehörden und letztlich auch die Berichte erheblich entlastet.

Frank Kuschel

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Über den Autor

Seit 1994 bin ich als Fachberater für Kommunal- und Verwaltungsrecht freiberuflich tätig. Seit Dezember 2019 nehme ich diese Aufgaben im Status als Leiter des Instituts für Kommunalberatung und -bildung (IKBB) wahr.

Von 1995 bis 1990 habe ich an der Akademie für Staat und Recht Potsdam-Babelsberg öffentliches Recht studiert. Der Abschluss sollte als Diplomverwaltungsjurist erfolgen. In der Folge des Einigungsvertrag erfolgte keine Diplomierung mehr.

Von 1999 bis 2020 habe ich an der Thüringer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie den Abschluss als Verwaltungsbetriebswirt (VWA) erworben.

Seit 1985 bin ich kommunalpolitisch tätig, zunächst als Mitarbeiter in der Kreisverwaltung Ilmenau. Von 1987 bis 1988 war ich Stellvertretender Bürgermeister der damaligen Kreisstadt Ilmenau, anschließend bis Juni 1990 Bürgermeister der Stadt Großbreitenbach.

Ich bin Mitbegründer des Kommunalpolitischen Forums Thüringen e.V. (heute: Die Thüringengestalter), dessen Vorsitzender ich bis 1995 war. Von 1995 bis 2010 war ich Geschäftsführer des Kommunalpolitischen Forums Thüringen e.V. Heute gehört ich noch dem Vorstand der Thüringengestalter e.V. an.

Ich war und bin seit 1990 in verschiedenen kommunalen Gremien als kommunaler Mandatsträger und Aufsichtsratsmitglied ehrenamtlich tätig. Gegenwärtig bin ich Mitglied des Kreistages Ilm-Kreis, berufener Bürger im Stadtrat Arnstadt und Mitglied des Aufsichtsrates der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Arnstadt. Seit 2019 bin ich zudem Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bürgerenergiegenossenschaft Solide eG.

Ehrenamtlich bin ich Landesbeauftragter des Verbandes Deutscher Grundstücksbesitzer (VDGN) und Landesvorsitzender der Thüringer Bürgerallianz für sozial-gerechte Kommunalabgaben.

Von 2004 bis 2019 war ich Mitglied des Thüringer Landtages und kommunalpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE.

Seit 2013 bin ich zudem geschäftsführender Gesellschafter und Verlagsleiter des THK-Verlags UG Arnstadt.

Ich bin Autor bzw. Mitautor zahlreicher Fachbücher, u.a. „Das Gläserne Rathaus“, „Haushalten mit Links“ und „ABC der Thüringer Kommunalpolitik“.